Vom Polizeigriff zum Tod in der Zelle?

Freitag, 22.2.2008
19.00 Uhr, linXXnet
Bornaische Str. 3d
Leipzig

WIR GEDENKEN OURY UND DIE ANDEREN

Wie ist es möglich, dass ein Mensch in einer Gefängniszelle im so
genannten „Sicherheitsgewahrsam“ verbrennt und die Todesumstände seit über drei Jahren ungeklärt bleiben? Die offenen Fragen zu dem Todesfall Oury Jallohs sind zahlreich und erschreckend. Dabei wird die Schuldfrage verdreht, das Opfer zum Täter gemacht.
Der konkrete Fall steht exemplarisch für die rassistische Praxis des
deutschen Staates.
Gemeinsam mit der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ soll der Stand der Dinge in dem konkreten Fall beleuchtet werden. Außerdem werden Aktivisten aus Leipzig über ihre Arbeit mit Betroffenen rassistischer Staatsgewalt berichten.

Diese Veranstaltung findet statt im Rahmen der Ausstellung: “Vom Polizeigriff zum Übergriff”
Noch bis zum 10. März ist im Politik- und Kulturbüro linXXnet in der
Bornaische Straße 3d die Ausstellung „Vom Polizeigriff zum Übergriff“ zu
sehen. Diese Ausstellung des Antidiskriminierungsbüros Berlin nimmt sich
eines im öffentlichen Diskurs oft unterbelichteten Themas an:
Polizeigewalt. Die Ausstellung zeigt Ausschnitte aus der Praxis des
Polizeiapparates. Dabei sind Übergriffe, Beleidigungen oder Schikanen
traurige Realität. Schuld sind, wie immer wieder unterstellt wird, die
Betroffenen selbst.
In Leipzig zeigten zuletzt die Ereignisse der Silvesternacht am
Connewitzer Kreuz, dass am Rande von Polizeieinsätzen eben auch mal
Unbeteiligte mit Pfefferspray oder Schlagstöcken konfrontiert sind. Auch
die Ereignisse in der Holsteinstraße in Leipzig-Reudnitz müssen aus dieser
Perspektive beleuchtet werden: am 12.1.2008 drangen Polizeibeamte in das
zu trauriger Berühmtheit gekommene Haus ein, stellten den Strom ab und
beschimpften die Bewohnerinnen. Nebenbei durften Nazis vor demselben Haus
eine beschützte Kundgebung abhalten.

Daraus kann nicht die Konsequenz gezogen werden, dass die Polizei „auf dem
rechten Auge blind“ sei. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass
Polizeibeamte auf ein fragwürdiges aber wirkungsmächtiges
Extremismus-Schema fixiert werden, nach dem die Feinde der „demokratischen
Mitte“ eine potentielle Gefährdung bedeuten. In der polizeilichen Praxis
bedeutet dies die Anwendung gezielter Repressionsmaßnahmen gegen Menschen,
die recht willkürlich linken politischen Zusammenhängen zugeordnet werden.

Vor allem aber sind Migranten und Migrantinnen Opfer von Polizeigewalt.
„Gewalt“ beginnt dabei weit vor einem tatsächlichen Übergriff, nämlich mit
„verdachtsunabhängigen” Kontrollen oder rassistischen Beleidigungen. Aus
dem tatsächlichen Übergriff resultiert für die Betroffenen häufig das
Gefühl völliger Ohnmacht gegenüber Polizei und Staat. Dies wird durch die
geringe Chance einer strafrechtlichen Ahndung des Übergriffs noch
verstärkt. Auf Grund einer ungerechtfertigten Gegenanzeige und einer
systematischen Nicht-Verfolgung und Nicht-Sanktionierung von Übergriffen
hat meistens nicht der Täter, sondern das Opfer mit einer Verurteilung zu
rechnen.

Die Ausstellung „Vom Polizeigriff zum Übergriff“ dokumentiert Beispiele
von Polizeigewalt, gibt betroffenen eine Stimme und fragt zugleich ob
Motive auch in der Struktur des Polizeiapparates selbst liegen. Ein
besonderer Fokus liegt zudem auf rassistischer Polizeigewalt: Warum
geraten vermehrt Migranten in das Visier der Polizei? Ist der Rassismus in
der Polizei nur ein Spiegelbild der Gesellschaft oder steckt mehr
dahinter?

In Wuppertal, wo die Ausstellung vor Leipzig Station machte, erwirkte der
städtische Oberbürgermeister Peter Jung das Schließen der Ausstellung im
Rathaus. Sie sei „zu einseitig“ und verunglimpfe das Ansehen der
städtischen Polizei.

Wir laden die Leipziger und Leipzigerinnen herzlich ein, sich selbst ein
Bild zu machen. Die Ausstellung ist wochentags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

1 thoughts on “Vom Polizeigriff zum Tod in der Zelle?

  1. Von Polizeigriff zum Übergriff: Bericht aus Italien.

    Federico Aldrovandi (18 Jahre alt, aus Ferrara, Italien) starb am frühen Morgen des 25. Septembers 2005 in Italien nach einer heftigen Auseinandersetzung mit zwei Polizeistreifenbesatzungen unter Umständen, die bis heute nicht geklärt sind.

    Aus Sicht der Polizei starb Federico an Ersticken durch Kreislaufversagen in Folge des Drogenkonsums. Die Menge Betäubungsmittel, die im Blut Federicos nachwiesen wurde, ist aber sehr gering. Laut Experten kann sie kein Grund für das vermeintlich aggressive Verhalten Federicos gewesen sein, das Federico erstmal gegen sich selbst und dann gegen die Polizisten gehabt hätte.(Laut offizielle Version wurden die Polizisten von der Nachbarschaft gerufen, weil jemand auf der Straße schrie und den Kopf gegen die Mauer knallte).

    Gegen die vier Polizisten läuft gerade ein Prozess, das erst nach vielen Bemühungen der Familie Federicos anfing. Die Gutachter der Familie behaupten, Federico wurde zum Tode verprügelt und starb am Ersticken durch Fixierung. (Als der Krankenwagen kam, trug Federico, der eigentlich schon tot war, immer noch Handschellen. Die Leiche lag stundenlang unbedeckt auf der Straße. Die Familie wurde erst nach Stunden informiert, obwohl sie ständig versuchte, Federico auf Handy zu erreichen). In der Straße, wo Federico gestorben ist, scheint Angst zu herrschen. Zeugen waren kaum zu finden und die wenigen, von denen zu hören war, wollten plötzlich nicht mehr aussagen.
    Im Prozess werden gerade Vertuschungsversuche und Fehler in den Ermittlungen mühsam rekonstruiert. Genauere Informationen über die Geschichte Federicos sind aus dem blog der Familie zu entnehmen: http://federicoaldrovandi.blog.kataweb.it/ (auf Italienisch). Schön wäre es, wenn die ausländische Öffentlichkeit auf diesen Fall aufmerksam werden würde.

    VERITÀ E GIUSTIZIA PER FEDERICO
    Wahrheit und Recht für Federico

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