Prozesstage vom 18.-21.Juni

Die einzige Erzählung, die es in dem Landgericht über das Geschehen am 7.1.05 in der Polizeiwache Dessau gibt, ist die der aussagenden PolizistInnen. Sie können vergessen, Details erinnern, Verläufe erzählen und zusammenkonstruieren, was sie wollen – das ist das Material, das sich zusehends zur einzigen Realität verdichtet. Die beinahe einzige Version ist die des Angeklagten Schubert, auf deren Grundlage alle Berichte gemacht wurden. Mit der Begründung, dass man sich ein anderes Handeln als das, das von ihm behauptet wird, nicht vorstellen kann. Das reicht dem Gericht. So wird Wahrheit gemacht und legitimiert. Der Richter bezeichnet selber die Ermittlungen als schlampig, unternimmt aber keine Schritte, sie zu verbessern. Im Gegenteil, er war es, der schon weit im Vorfeld des Prozesses genauere Ermittlungen abgelehnt hat. Derzeit spielt sich dieselbe Geschichte ab, die normal und bekannt ist, wenn PolizistInnen vor Gericht involviert sind: Es zählt ihre Version, Ende. So wie es auch bei ihnen üblich ist, mit einer Anzeige wegen Widerstand zu reagieren, wenn man auf ihre Angriffe rechtlich reagieren will. Dass diese Version rechtlich anerkannt wird und dem Opfer statt ihnen Schwierigkeiten bringt, dessen können sie sich sicher sein. So auch hier, nur geht es hier um einen Menschen, der durch die Polizei verbrannt ist. Die PolizistInnen haben probiert, wie weit sie gehen können. Und sie bekommen Recht. Sie müssen nur noch die Aussagen verbessern, die Loyalität ist ihnen von oben bis unten sicher. Der Richter ermahnt den Angeklagten, seine Version von der Zeit nach 12:00 widerspruchsfrei zu korrigieren, und bietet ihm schon jetzt dafür ein Urteil auf Bewährung an. Offensichtlich hat die mangelhafte Absprache der PolizistInnen ihn dazu gebracht, sich von ihnen als Richter nicht genügend respektiert zu sehen. Wenn sie eine widerspruchsfreie Version zu den Ereignissen nach 12:00 hinbekommen, ist er zufrieden. Mit einer Aufklärung darüber, wie Oury Jalloh ums Leben gekommen ist, hat das wenig zu tun. Offensichtlich ist dessen Leben zu wenig wert dafür, dass diese Frage rechtlich von Interesse wäre.

Dabei war in der gesamten Verhandlungszeit bisher vor allem eines zu erfahren: Wie der Zusammenhalt auf dem Dessauer Polizeirevier funktioniert. Aussagen, die zuerst gemacht wurden, werden nun so verändert, dass sie mit anderen Aussagen zusammengehen könnten. Alle Antworten, die verfänglich sein könnten, werden verschwiegen. Mit Unterstützung durch Gespräche, Versammlungen – zu deren Inhalt sich die ZeugInnen wie schon bei anderen Fragen sehr bedeckt halten, wenn es zu einer „Falschaussage“ kommen könnte – und dem aufmerksamen Lesen des Internets wird die Version zunehmend ausgearbeitet. Widersprüche entstehen trotzdem, wenn eine Zeugin anfangs und ein anderer Zeuge später mehr als vorgesehen gesagt haben. Und es ist für die meisten BeamtInnen, die nicht gleichermaßen involviert gewesen sind, offenbar nicht so leicht, bei allem guten Willen zur Deckung des Angeklagten alle dafür wichtigen Punkte zusammenzubringen. In dieser Woche war von einer Zeugin aus der Verwaltung wie vom Revierleiter, also dem Vorgegebenen des Angeklagten, zu erfahren, dass sie sich einfach nicht vorstellen können, dass Schubert zweimal den Alarm ausgedrückt hat. Die Version von Sch., dass er unverzüglich reagiert habe, wird von dem Revierleiter Kohl zur Grundlage aller weiteren Berichte und Mitteilungen an Innenministerium und an das gesamte Revier gemacht, trotz bekannter anderer Aussagen. Es gibt keinen Protest, im Gegenteil, allen Angesprochenen passt diese Version gut ins Konzept. Konsequenzen hat nur die Zeugin Höpfner zu erfahren, die gegen ihren Willen versetzt wird. Warum soll dieselbe Abwicklung des 7.1.05 nicht genauso für die Behauptung gelten, Oury Jalloh habe sich selbst umgebracht? Das interessiert auch den Richter nicht, dem nur die Widersprüche in der Version zu der Zeit nach 12:00 nicht gefallen. Dass es nur um diese Zeit geht, zeigt, auf welcher Seite er steht. Die PolizistInnen haben es sich offensichtlich zu leicht vorgestellt, was die Befragungen dazu betrifft. Für die Version zu der Frage, wie Oury Jalloh umgebracht worden ist, brauchen sie sich keine Sorgen zu machen. Um die geht es gar nicht. Der Richter will gar nicht wissen, wie das Feuerzeug in die Zelle gekommen ist, auch wenn diese Woche ein weiteres Mal versichert wurde, dass Oury J. gründlich durchsucht worden ist. Er will auch nicht wissen, wie die feuerfeste Matratze brennen konnte, auch wenn die Reinigungskraft versichert hat, dass diese unbeschädigt war. Auch will er nicht wissen, warum der Alarm alle so spät erreicht haben kann, dass niemand mehr helfen könne, weil der Rauch schon zu stark sei. So wie auch alle weiteren offenen Fragen dazu, was vor 12:00 passiert ist – also als das Feuer ausgebrochen ist – interessieren ihn nicht, auch wenn schon zur Zeit nach 12:00 sichtbar ist, wie Aussagen erfunden und zusammengefügt werden, wenn auch bisher noch nicht genügend für den Richter. Ein Mensch verbrennt in einer Polizeizelle, warum, das ist bei ihm, dem Menschen aus Sierra Leone, nicht von Belang – wenn die weißen PolizistInnen sagen, das war Selbstmord, dann reicht das, auch wenn sie noch so sehr vorführen, auf welche Art sie sich gegenseitig decken, einerlei ob unmittelbar oder nicht involviert. Warum soll es nicht Mord gewesen sein? Einfach weil auch der Richter und der Staatsanwalt es ihnen nicht zutrauen mag? So entstehen Wahrheiten und wird Recht gemacht. Und Geschichte(n) wiederholen sich.

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